Motorradtechnik
Die technische Ausstattung der Harley hat natürlich einen direkten Einfluss auf die Fahrbahrkeit. Dazu zählen die Rahmengeometrie und natürlich die Auswahl und der Zustand der Reifen.
Maximale Seitenneigung
Eine Harley hat nur eine beschränkte Seitenneigung. Das sind etwa 30°. Dann setzt irgendwas auf und schleift mit einem kratzenden Geräusch auf dem Asphalt. In der Linkskurve ist es meist der Seitenständer, in der (engeren) Rechtskurve ein Teil des Auspuff. Wenn man sich noch weiter reinlegt schleifen die Fussrasten/Trittbretter, die aber für sich gesehen noch weitere 5°-10° zurückklappen können. Danach ist aber Schicht.
Das physikalische Maximum für ein Motorrad (ohne Spezialreifen) sind 45°. Die moderne Reifen der Asphaltrutschen haben einen höheren Haftreibungskoeffizienten und die Fahrwerke sind entsprechend schmal gebaut. Damit sind dann auch Werte von 56° durchaus erreichbar. Davon ist die Harley wie schon gesagt weit entfernt.
Die 20° Sperre
Da müssen/können wir auch gar nicht hin. Aber der Punkt, bei dem die Trittbretter schleifen liegt bei rund 30°. Das ist nicht viel. Und trotzdem nutzen viele nichtmal diesen Bereich aus. Der Grund liegt in der menschlichen Psychologie begründet. Der Mensch (wie auch das Pferd) will nicht freiwillig über 20° Kurvenneigung hinaus. Dann gibt es eine psychologische Sperre, die durch ständiges Training überwunden werden muss. Um sicher um die Kurven zu fahren muss man in der Lage sein, deutlich mehr als 20° Grade zu fahren.
Wovon ich also rede ist, dass die 20°, mit denen der "Cruiser" versucht die Maschine durch die Kurve zu wuchten, oft deutlich zu wenig sind. Das kann (und wird) in der Praxis zu gefährlichen Situationen führen. Die 30°, bis die Geräusche anfangen, sollten ausgenutzt werden (können). Das ist ja auch nicht das Ende der Fahnenstange. Da gehen locker noch 5-10° mehr (bei kräftigem Geräusch).
Wer sich nichtmal die 30° traut, dem ist mit diesem Reservepolster gar nicht gedient. Der wird dieses weder kennenlernen noch ausnutzen können, und stattdessen lieber in die Leitplanke oder den Gegenverkehr rasseln. Und wer behauptet, nie in der Kurve in eine Situation gekommen zu sein, wo er auf die Gegenfahrbahn gekommen ist (Fehleinschätzung, Fremdverschulden, Hindernisse), der fährt entweder nix, ist ein chronisches Verkehrshinderniss oder lügt. Es ist meines Erachtens sträflicher Leichtsinn, Motorradfahrer dazu anzuregen, die mögliche Kurvenneigung des Bikes NICHT auszunutzen.
Und das hat auch gar nix damit zu tun, ob man eine Harley oder welche Baureihe man fährt oder nicht. Sondern nur mit der Fahrphysik eines Motorrades.
Hier ein Video, wie ein Bike durch die Kurven geschoben wird, als wenn es Gabelstapler wären. Vor jeder Kurve wird dann nochmal extra gebremst. Er fährt dabei so langsam, dass ihm sogar der gemütlich fahrende Lastwagen mit der Videokamera hinten auffährt. Und wenn es "eng" wird und Gegenverkehr kommt, dann riecht man den Angstschweiss kilometerweit. Das muss doch nicht sein?
Um den optimalen und auch sicheren Kurvenradius nutzen zu können, muss man üben, üben üben. Und dazu auch die richtige Fahrtechnik beherrschen, zu der ich später noch kommen werde.
Reifen
Auch auf die Gefahr, mich unbeliebt zu machen: Dunlop Reifen sind scheixxe. Die neueren Modelle, die speziell für die besonderen Grössen der neuen Harley Räder gefertigt werden, sollen besser sein. Speziell die Dunlop RoadSmart sollen ganz gut bei Regen sein. Aber die gibt es nur für wenige Harley Modelle.
Für diese neuen "exotischen" Felgengrössen gibt es von anderen Herstellern überhaupt noch keine Alternativen, was wohl auch der Sinn dieser Spezialgrössen ist. Ich habe den Eindruck, dass zwischen Harley und Dunlop immer wieder ein neuer Deal ausgehandelt wird, der es Dunlop erlaubt, gemütlich Kohle mit mittelmässigen Standards zu machen. (Wie schon gesagt: Nur meine persönliche Meinungsäusserung).
Ab 2012 werden auch Michelin Reifen verbaut. Sind aber nach ersten Erfahrungsberichten auch nicht besser wie die alten Dunlops.
Die Hauptkritikpunkte sind die Haftung bei Nässe, die Haltbarkeit, der Preis und speziell die Kurvengängigkeit, die in diesem Artikel eine besondere Rolle spielt. Näheres zu alternativen Reifen findet sich hier:
Ich habe letztens (http://g-homeserver.com/harley-david...r.html#post438) eine 2005 Dyna mit Bridgestone BT45 Reifen ausgerüstet. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Bessere Laufeigenschaften, viel bessere Haftung auf Nässe und man kommt damit um die Kurven, als würde man eine Ducati fahren (bildlich gesprochen). Auf jeden Fall ein ganz neues Feeling. Die Dunlops wollen da eher überredet werden.
So kann also auch die Wahl des richtigen Reifens helfen, die Kurventechnik zu verbessern.
Reifenbreite
Die ideale Reifenbreite zum Fahren liegt heutzutage zwischen 160 und 180 am Hinterrad. Vorne darf es ruhig deutlich schmaler sein: je schmaler, desto leichter gehen die Kurven. Diese Maße werden auch von den aktuellen Sportbikes anderer Hersteller eingehalten. Nicht ohne Grund. Bei einer Reifenbreite von 200 wird es schon wieder deutlich schlechter, 240 sind gerade noch so fahrbar, ab 300 ist hauptsächlich für den Hängerbetrieb (Mit dem Poser-Hänger zum Bierzelt, 3m Fahren, abstellen, wieder auf den Hänger laden). Bei extrem breiten Reifen geht das sogar soweit, dass manchmal das Bike ohne Ständer senkrecht auf den Schlappen stehen bleibt, ohne umzufallen. Sieht cool aus, iss aber nix zum fahren.
Der Grund für die abnehmende Kurvenfreudigkeit bei breiten Reifen liegt darin, dass die Reifenaufstandsfläche sich weiter zur Seite verschiebt. Deshalb braucht man zusätzlichen Neigungswinkel. Bildlich: Man muss zusätzlich über die gerundete Aufstandsfläche des Reifens rollen. Das bedeutet extra Kraft, weniger Stabilität und Spurtreue.
(Bild Motorrad: Breitreifen? / ¦ \ FAHRTIPPS.DE)
Was kann man also mit breiteren Reifen erwarten?
- Das Motorrad muss in der Kurve stärker geneigt werden
- Die Haltekraft am Lenker wird grösser
- Das Aufrichtmoment steigt
- Das Motorrad wird bei niedrigen Geschwindigkeiten kippliger
- Die Haftung bei Nässe nimmt ab
Je breiter der Reifen, um so stärker muss das Motorrad bei gleicher Kurvenfahrt geneigt werden. Die Reifenaufstandsfläche verschiebt sich nämlich zur Kurveninnenseite, der Schwerpunkt des Motorrades bleibt aber gleich. Dadurch entsteht ein zusätzlicher Neigungswinkel. Dieser beträgt bei Hinterradreifen:
4° bei Reifenbreite 130 mm,
5° bei Reifenbreite 150 mm,
6° bei Reifenbreite 180 mm,
7° bei Reifenbreite 200 mm,
9° bei Reifenbreite 240 mm,
12° bei Reifenbreite 300 mm,
15° bei Reifenbreite 360 mm
jeweils gerechnet bei einer Schräglage von 45 Grad und einer Schwerpunkthöhe von 62,3 cm. Also ein Motorradfahrer mit schmaleren Reifen ist bei gleiche Schräglage schneller unterwegs als ein Motorradfahrer mit Breitreifen.
So muss sich ein Fahrer mit einem 300er Reifen um 6° (12°-6°) mehr in die Kurve legen (bei gleichem Kurvenradius) als der Fahrer eines 180er Reifen. Wenn dazu noch ein gesenkter Schwerpunkt kommt (weitere 3°) und ausladende Bauteile (Primary Belt), dann hat man ohne Probleme die Hälfte der möglichen 30° Seitenneigung durch "colles Aussehen" verbraten. Dann bleibt nur noch die Schubkarre.
Eine ausführliche Diskussion zu diesem Thema findet sich unter: Motorrad: Breitreifen? / ¦ \ FAHRTIPPS.DE
Damit man sich das auch mal bildlich vorstellen kann, hier ein Extrembeispiel mit 2 Reifen im Format 360:
Aquaplaning
Normalerweise ist das Aufschwimmen der Reifen bei nasser Fahrbahn kein wirkliches Thema für Motorräder, da die Reifenaufstandsfläche so schmal ist, dass kein Wasserfilm entstehen kann, auf dem der Reifen gleitet. Das gilt aber nur für Reifen bis etwa 200er Breite. Von da an wird die Reifenaufstandsfläche so gross, dass die Haftung bei Nässe rapide abnimmt.
Warum werden bei sportlichen Autos (für welche dieselben Kriterien gelten) trotzdem immer breite Reifen aufgezogen? Das liegt an dem Umstand, dass ein Autoreifen in einer Kurve hohe Querkräfte übertragen muss, während gleichzeitig das Chassis des Wagens (fast) nicht einsinkt.
Beim Motorrad ist das ganz anders, der Fahrer legt sich in die Kurve. Bei extrem breiten Motorradreifen, die dadurch schon fast einen eckigen Querschnitt haben, sorgt das dafür, dass man in den Kurven auf einem ganz schmalen Stück Gummi balanciert. Das macht die Fuhre kipplig, und die auftretenden Querkräfte werden dadurch noch schlechter abgefangen wie bei einem normal-schmalen Reifen. Da hilft dann auch kein Regenprofil, weil eben der Motoradreifen in der Kurve nicht mehr mit dem ganzen Profil auf der Strasse aufliegt und das Profil damit wirkungslos wird.
Breitreifen auf dem Motorrad sind also nur etwas für Schönwetterfahrer. Was schon so mancher schmerzhaft erleben durfte.
Luftdruck
Gerade bei den Tubeless Reifen der Gussfelgen sind wir es mittlerweile (leider) gewohnt, den richtigen Luftdruck als gegeben hinzunehmen und nicht mehr regelmässig zu überprüfen. Deshalb fahren viele Bikes tatsächlich mit zu geringem Reifendruck. Das kann zum vorzeitigen Verschleiss und Beschädigung der Reifenflanken führen. Und auch die Spurstabilität in den Kurven leidet.
Die Schläuche der Speichenfelgen neigen zu geringem, aber kontinuierlichem Druckverlust. So etwa 0.1 bar alle 14 Tage. Das hört sich nicht viel an. Aber es gibt eine Faustformel, nach der ein Reifen mit jedem 0.1 bar weniger Druck 10kg seiner maximalen Belastungsfähigkeit verliert.
Da das Messen der Luftdrucks besonders bei Touringbikes ein "Pain in the Ass" ist (Handschuhe anlassen, sonst verbrennt man sich die Pfoten an der heissen hinteren Bremsscheibe) empfiehlt es sich, beim nächsten Reifenwechsel 90° Ventile in die Gussfelgen einsetzen zu lassen. Die kommen aus dem Rollerbau und sorgen dafür, dass das Ventil zur Seite, und nicht nach oben steht.
Reifenpanne
Wenn man mal bei zügiger Fahrt plötzlich ein schwammiges Gefühl auf dem Bike hat (als würde man auf Eis fahren), dann bitte sofort mit über 50 km/h (damit die Reifenform erhalten und der Reifen auf der Felge bleibt) bis zur nächsten Einbuchtung fahren, Bike abstellen und den ADAC rufen.
Tip: Wer ein Touringbike fährt, sollte eine 1/2" 36mm Stecknuss für die Hinterachse mitführen. Man wird nämlich vom ADAC (Öamtc, ACS...) nur bis zur nächsten Motorrad Werkstätte geschleppt. Und die haben nicht selbstverständlich diese grosse Stecknuss...
Haftreibung der Reifen, Haftreibungskoeffizient
Auf allgemeinen Wunsch hin hier noch eine kleine theoretische Erörterung des Begriffs Haftreibungskoeffizient µ. Dieser Wert bestimmt, ab welcher Seitenneigung die Maschine anfängt zu rutschen, die Haftung also aufhört. Der maximale Neigungswinkel wird berechnet, indem man mit dem Taschenrechner den arcusTangens (invers Tangens, tan-1) aus µ berechnet.
Ist µ= 1, dann ist der Winkel 45°. Das ist der theoretisch mögliche Wert für Festkörper. Im tatsächlichen Leben haben die Reifen aber einen anderen µ Wert, da sie eher so etwas wie eine feste Flüssigkeit sind und kein echter Festkörper. Sie kleben also auf der Fahrbahn.
Mit heutigen modernen Reifen erreicht man auf trockenem Asphalt ein µ bis 1.2 , das ergibt 50°.
Bei Rennreifen für Sportveranstaltungen kann das kurzfristig auch mal µ = 1.5 sein (56°).
Formel1 Autoreifen haben übrigens ein µ von 2.0. Die sehen aber auch aus wie flüssiges klebriges Teer, wenn sie mal warmgefahren sind. Wenn man drauflangt, ist man festgeklebt...
Eine nasse Fahrbahn hat einen Haftreibungswert von µ = 0.58. Das erlaubt eine Schräglage von 30°. Das ist genau die maximale Schräglage einer Harley. Man könnte also mit der Harley und modernen Reifen auch bei Nässe sicher bis zum Aufsetzen der Fussrasten die nassen Kurven durchfahren. Merke: Its not a fault, its feature...
Aufpassen muss man aber weiterhin bei Bitumen-Flickstellen im Asphalt, den weissen Fahrbahnmarkierungen, Diesel oder Öl auf der Fahrbahn etc.. Die können bei Regen trotzdem nochmal weniger Haftung bieten wie der relativ rauhe Asphalt. Aber auch ein Bitumenstreifen führt nur zu einem kurzen Rutscher, über den man sich erschrickt, aber die Maschine hat genug Stabilität, um sich dann wieder zu fangen. Bei manchen Sicherheitstrainings wird durch eine Rüttelplatte das Fahrzeug in der Kurve sogar aus der Spur geschubst. Damit man mal den Effekt erleben kann.
Wichtig ist dass man sich merkt, dass Regen alleine kein Grund ist, die Sicherheitsmarge der Seitenneigung NICHT auszunutzen. Regen bedeutet langsamer fahren, aber an der Kurventechnik ändert sich nix wesentliches.
Hier findet man weitere µ Werte, auch für Schotter und ähnliches:
Reibungskoeffizient
Haftreibung
Merke: Nur weil wir Harley fahren heisst das nicht, dass wir bei Nässe nicht genausogut fahren können wie die anderen Fabrikate um uns herum. Harleys sind keine Schönwetterbikes, sondern alltagstaugliche Allwettergefährte. Also kein Grund, bei den ersten Tröpfchen Regen zu fahren wie auf rohen Eiern.
Harleys haben schon Geländewettbewerbe bei Schlechtwetter gewonnen, als in Japan die Sänfte noch Hauptverkehrsmittel war!
Bei der Berechnung der tatsächlichen Neigungswinkel muss man im Auge haben, dass man bei breiten Reifen immer ein paar Grad abziehen muss, und dass natürlich auch der Aufbau des Reifens selber eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Wenn man sehr harte Reifen hat (Dunlops), dann halten die zwar länger, aber haben einen schlechteren Haftreibungswert. Umgekehrt gibt es echte Regenreifen, die kleben auf der Fahrbahn (Gummi, Profil, verschiedene Gummisorten..). Die haben damit auch einen deutlich höheren Haftreibungskoeffizienten.
Da das Problem meist in der Kurve auftritt, werden moderne Reifen mit einer weicheren (klebrigeren) Gummimischung an den Flanken ausgestattet. (Bridgestone, Pirelli etc). Es lohnt sich also auf jeden Fall die Investition in Reifen mit guter Nässehaftung.
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© 2011, Peter Viczena